Mit diesem Titel veröffentlichte die Bezirksregierung Arnsberg am 06.04.2016 das Gutachten der Technischen Universität Clausthal zu Bodensenkungen außerhalb des prognostizierten Einwirkungsbereiches des Bergwerks Ibbenbüren 1/2.

Die Diskussion um Bodensenkungen und Bergschäden außerhalb der „Nulllinie“ dürfte mit der Vorlage auch dieses Gutachtens noch nicht beendet sein.

Das unter der Leitung von Prof. Wolfgang Busch tätige Gutachterteam kommt zwar zu dem Ergebnis, dass auch außerhalb des prognostizierten Einwirkungsbereiches bergbauliche Senkungen aufgetreten sind, diese sind aber so gering, dass keinerlei Bergschäden zu erwarten seien.

Dies ist nun das dritte Gutachten, das sich mit dem Phänomen von Bergsenkungen jenseits der Nulllinie beschäftigt und wie auch die beiden vorherigen Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass die Nulllinie keinesfalls das ist, was ihr Name anzudeuten scheint. Natürlich wird von Laien recht schnell die Nulllinie oder auch der Nullrand als die Grenze jeglicher bergbaulichen Senkungen und damit auch als Rand der Einwirkungen angesehen. Wegen der Wichtigkeit und angesichts der aufgetretenen Missverständnisse seien Bedeutung und Konstruktionsgrundsätze der Nulllinie kurz dargestellt. In dem einem Abbau vorhergehenden Genehmigungsverfahren ist es erforderlich, den Bereich an der Tagesoberfläche darzustellen, in dem Einflüsse des Bergbaus auftreten können. Den am Genehmigungsverfahren beteiligten Stellen soll damit deutlich gemacht werden, welche Schutzgüter an der Tagesoberfläche in welcher Art und Weise vom Bergbau negativ beeinflusst werden können. Am einfachsten ist es dabei natürlich, den Einflussbereich an der Tagesoberfläche in geeigneten Karten durch eine geschlossene Linie zu begrenzen. Diese Linie wird anhand einer mathematischen Formel konstruiert, in die drei Parameter einfließen, mit denen das Bewegungsverhalten des Deckgebirges beschrieben und somit der Einwirkungsbereich an der Tagesoberfläche ermittelt wird. Diese drei Parameter (Abbaufaktor, Grenzwinkel und Zeitfaktor) werden aus Messungen und anderen Beobachtungen der Veränderungen an der Tagesoberfläche in dem jeweiligen Abbaurevier gewonnen und dann einheitlich für das gesamte Revier angesetzt. In anderen Revieren gelten dann zwar dieselben Parameter, werden aber mit ggf. anderen Werten in die Berechnungsformel eingesetzt. Auch die geometrischen Daten des zur Genehmigung anstehenden Abbaus fließen in die Berechnung ein. Für die Feststellung der tatsächlichen Ausdehnung von Senkungsmulden und damit zur Kontrolle der Vorausberechnungsverfahren sind natürlich immer schon Höhenmessungen herangezogen worden, die deutlich über den Einwirkungsbereich hinausgehen. Derartige Vermessungen vermitteln ein relativ sicheres Ergebnis, aber eben nur im Bereich der jeweiligen Messlinie und nicht darüber hinaus.

Aus mathematisch/technischen Gründen ist das Ergebnis dieser Berechnungsformel nicht die Linie, an der die Bodensenkungen aufhören. Vielmehr wird die Formel so definiert, dass „nur“ 1 % des durch den Abbau erzeugten Senkungsvolumens außerhalb der Linie und 99 % des gesamten Senkungsvolumens innerhalb dieser Linie liegt. Schon mathematisch verbleibt somit ein außerhalb der Nulllinie liegendes Senkungsvolumen. Es kommt hinzu, dass das von einem Abbau beeinflusste Deckgebirge keinesfalls so gleichmäßig ist, wie es die zuvor beschriebenen Parameter unterstellen. Ein Deckgebirge ist geschichtet und gefaltet, geprägt von Schichten unterschiedlicher Mächtigkeit und durchsetzt mit mehr oder weniger großen tektonischen Störungen.

Neben einem „Ruhrkohle-Verfahren“ existieren noch andere Verfahren zur Berechnung von Einflussbereichen. Lageunterschiede der so berechneten Nulllinien können durchaus 100 m und mehr betragen.

Berücksichtigt man all diese Einflüsse, die der Konstruktion der Nulllinie innewohnen, so gelangt man unweigerlich zu dem Schluss, dass die Nulllinie keine Grenze beschreibt, sondern vielmehr den Bereich der größten Wahrscheinlichkeit für das Auslaufen bergbaulich bedingter Bodenbewegungen. In früheren Zeiten wurde diesem Phänomen dadurch Rechnung getragen, dass die Nulllinie als eine Art Schwingung mit relativ deutlichen Ausschlägen dargestellt wurde.

Für die Feststellung, dass die außerhalb des prognostizierten Einwirkungsbereiches festgestellten Senkungen keine Schäden an Gebäuden verursachen können, sind die Senkungen flächenhaft auf Krümmungen und Schieflagen untersucht worden. Die Ergebnisse liegen weit unterhalb der für Gebäude bekannten Erfahrungswerte, bei deren Überschreiten Verformungen mit Rissen und Schäden auftreten können. Auch in den Gebieten, in denen radarinterferometrisch ermittelte Senkungen nicht flächendeckend vorlagen, gilt diese Aussage, wie die Untersuchung von Interpolationsfehlern und anderen Ungenauigkeiten zeigte.

Für die Regulierungspraxis bedeutet dies, dass jeglicher Meldung von Schäden an Gebäuden auch außerhalb des durch eine Nulllinie dargestellten prognostizierten Senkungsbereiches eine Ortsbesichtigung zur Klärung der tatsächlichen Verhältnisse folgen muss. Denn erst vor Ort lässt sich tatsächlich überprüfen, ob Einwirkungen des Steinkohlebergbaus vorlagen und zu Schäden geführt haben. Eine Ablehnung von Bergschadensersatzansprüchen vom Schreibtisch aus und mit der alleinigen Begründung der Lage des Grundstücks außerhalb der Nulllinie muss endgültig der Vergangenheit angehören.

Herten, 18.04.2016
Dipl.-Ing. Johannes Schürken


Literaturhinweise
1 Kurzlink: www.bra.nrw.de/3242633     -     Bereich: Pressearchiv > 2016 > April
2 Bush, Walter ua.: Bergwerk Ibbenbüren der RAG AG - Analyse von Senkungserscheinungen außerhalb des prognostizierten Einwirkungsbereiches, Institut für Geotechnik und Markscheidewesen, TU Clausthal, 15.02.2016 pdf