• Die Bergschädenversicherung von 1910

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann im Ruhrgebiet die Förderung von Steinkohle in industriellem Maßstab. Zu dieser Zeit wurde der Bergbau noch durch eine Vielzahl von Einzelvorschriften geregelt und vor allem reglementiert. Mit Einführung des Preußischen Allgemeinen Berggesetzes im Jahre 1865 wurde erstmals ein einheitliches Bergrecht geschaffen, in dem auch das Rechtsverhältnis zwischen Bergbau und Grundeigentum definiert wurde; für Grundeigentümer galt: „Dulde (den Bergbau) und liquidiere (den Schaden).“ Dieser auch heute noch gewichtige bergrechtliche Spruch kennzeichnete von Anfang an die vergleichsweise schwache Position des Grundeigentums gegenüber dem Bergbau. Ein Bergbaubetreiber war damit allerdings auch gesetzlich verpflichtet, für allen Schaden, der dem Grundeigentum oder dessen Zubehör durch den Betrieb eines Bergwerks zugefügt wurde, vollständige Entschädigung zu leisten; so die Theorie – die Praxis sah dagegen insbesondere in den Jahrzehnten eines prosperierenden und eine Wirtschaftsmacht in Deutschland darstellenden Bergbaus (und auch später) häufig völlig anders aus. Denn von der Begründung einer Schadensersatzpflicht durch das Gesetz bis zum Nachweis und zur Durchsetzung des Anspruchs war es in der Regel ein weiter und harter Weg; besonders dann, wenn ein Schadensbild von der Verursachung her nicht eindeutig zuzuordnen war oder sich eine Bergwerksgesellschaft aus übergeordneten, taktischen Gesichtspunkten im einzelnen Schadensfall restriktiv verhielt, sich manchmal der Regulierung auch zu entziehen versuchte und der Geschädigte sein Recht nur mit Hilfe eines kostspieligen und Risiken bergenden Gutachterprozesses hätte verwirklichen können. Der absoluten technischen und wirtschaftlichen Dominanz großer und größer werdender Bergwerksgesellschaften hatte der Einzelne kaum etwas entgegenzusetzen. Es gibt viele Beweise dafür, dass es über viele Jahre gar nicht selten zur Taktik von Bergwerksgesellschaften gehörte, Schadensregulierungen in die Länge zu ziehen und schließlich zum bzw. bis vor den Prozess zu bringen, um so den einzelnen Eigentümer für einen „billigen“ Vergleich reif zu machen und andere Eigentümer ganz bewusst abzuschrecken.

Aus dieser unbefriedigenden Situation heraus entwickelte der Schriftleiter der Haus- und Grundbesitzerzeitung des rheinisch-westfälischen Kohlenreviers in Essen, Alexander Ecker, den Gedanken, eine Versicherung zu gründen, die betroffenen Eigentümern das Prozessrisiko abnehmen und auch die Verhandlungen zur Regulierung von Bergschäden übernehmen sollte. Auf einer Verbandstagung der Haus- und Grundbesitzervereine für das rheinisch-westfälische Kohlenrevier im Jahre 1909 wurde beschlossen, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Die Gründung der Versicherung unter dem Namen „Versicherungsverein der Haus- und Grundbesitzer auf Gegenseitigkeit“ erfolgte dann am 13. März 1910 in Gelsenkirchen durch führende Mitglieder verschiedener Haus- und Grundbesitzervereine. Die Geschäfte wurden zunächst zusammen mit denen des Haus- und Grundbesitzervereins Gelsenkirchen geführt. Die ehrenamtliche Leitung übernahm der Initiator Ecker, ab 1911 ging die hauptamtliche Leitung auf Josef Seithe über, der das Amt bis zu seinem Tode 1954 innehatte. Die Arbeit der Versicherung erfuhr von Anfang an Anerkennung. In einer Drucksache des Preußischen Abgeordnetenhauses aus 1912 wurde die Gründung und Tätigkeit der Versicherung als „Akt zweckmäßiger Selbsthilfe der Grundeigentümer“ bezeichnet.

Nach mehreren Satzungsänderungen, die jeweils die organisatorische und wirtschaftliche Entwicklung widerspiegelten, erhielt die Versicherung schließlich bis zu ihrer Liquidation den Namen „Bergschädenversicherung der Haus- und Grundbesitzer, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“. Ein wesentlicher Tätigkeitsschwerpunkt der Versicherung wurde schnell auch die vorprozessuale Tätigkeit, hervorgerufen durch das große Interesse der Mitglieder an vergleichsweise zügigen und insbesondere deutlich weniger risikoreichen Auseinandersetzungen mit Bergwerksgesellschaften. Die außerprozessuale und nicht selten sachbedingt auch vergleichsweise erfolgende Bergschadensregulierung „war geboren“. Die Bergschadensregulierung sollte nunmehr zunehmend den Vorrang vor der Kostentragung kaum je risikoloser Prozesse haben. Bereits 1913 wurden ein sog. Baubüro eingerichtet und erste technische Mitarbeiter eingestellt, um im konkreten Fall Schäden zu begutachten. Aus der Vielzahl der Regulierungsverhandlungen sammelte die Versicherung umfangreiches Fachwissen an, das bereits früh auch für erste Publikationen und für beginnende Forderungen an Gesetzgeber und Behörden zur Verbesserung der Situation des Grundeigentums eingesetzt wurde.

Eine Überprüfung der tatsächlichen Geschäftstätigkeit sog. kleinerer Versicherungsgesellschaften (wie die Bergschädenversicherung) durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen führte später zu der Frage, ob die Bergschädenversicherung eine unzulässige rechtsberatende und gutachterliche Tätigkeit ausübte. Nach der seinerzeit geltenden und genehmigten Satzung und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Bergschädenversicherung hatte diese die Aufgaben, den versicherten Mitgliedern nicht nur nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen das Prozessrisiko abzunehmen, sondern auch zuvor im Auftrag der einzelnen Mitglieder Bergschäden an deren Objekten festzustellen und Schadensersatzansprüche zunächst in außergerichtlichen Verhandlungen mit den Bergwerksgesellschaften durchzusetzen.

Das Bundesaufsichtsamt war in seinem Prüfungsbericht vom 16. Juni 1959 der Ansicht, dass gerade die Vertretung der Mitglieder gegenüber dem Bergbau eine rechtsberatende Tätigkeit sei, die durch Artikel I §7 des seinerzeit gültigen Rechtsberatungsgesetzes nicht gedeckt war. Zudem sei auch die bloße Feststellung eines Schadens durch die technische Abteilung der Bergschädenversicherung zum Zweck der Vorbereitung einer Schadensregulierung dann unzulässig, wenn der Schaden bei der Begründung des Versicherungsverhältnisses bereits vorgelegen habe und die Übernahme eines evtl. Prozesskostenrisikos durch die Versicherung zuvor nicht geplant gewesen sei – so das Bundesaufsichtsamt noch ergänzend.
Noch bevor es hierüber zu einem langwierigen, die Interessenvertretung und zugehörige Arbeit lähmenden Streit kommen konnte, fasste der Vorstand der Bergschädenversicherung den Beschluss, zukünftig nur noch die Schadensfeststellung vorzunehmen und die Vertretung der Mitglieder bei außergerichtlichen Regulierungsvereinbarungen aufzugeben. Dieses Mandat sollten die Mitglieder einer nach dem Rechtsberatungsgesetz befugten Person oder Stelle übertragen. Der Gedanke zur Gründung des VBHG war geboren! Nach Gründung des VBHG und mit dessen zunehmender Tätigkeit gingen der Bedarf der Grundeigentümer an der Versicherungsleistung der Bergschädenversicherung und in diesem Zuge ihre Versichertenzahlen kontinuierlich zurück. Am 5. Mai 1977 beschloss der Vereinsausschuss der Versicherung als zuständiges Gremium die Liquidation der Versicherung. Das Verfahren wurde am 30. Juni 1978 ordnungsgemäß beendet. Die Bestätigung durch den Regierungspräsidenten Münster erfolgte schließlich mit Schreiben vom 16. Januar 1979.    

Die Versammlung am 1. Oktober 1959 zur Gründung des VBHG erfolgte noch in den Geschäftsräumen der Bergschädenversicherung in Gelsen­kirchen. Mit der Satzung wurden der Name „Verband bergbaugeschädigter Haus- und Grundeigentümer“, die Rechtsform des eingetragenen Vereins mit Sitz in Gelsenkirchen sowie in § 2 der Satzung die künftige Aufgabenstellung beschlossen:

§ 2 der Satzung

„1. Der Verband vertritt die besonderen Interessen der Grundeigentümer im Bundesgebiet, soweit sie durch die Ausübung von Bergbau und die damit zusammenhängende Rechtsordnung berührt werden, im Zusammenwirken mit dem Zentralverband Deutscher Haus- und Grundbesitzer und den ihm angeschlossenen Landesverbänden, sonstigen wohnungs- oder grundstückswirtschaftlichen Verbänden sowie den Berufsvertretungen der Landwirtschaft.
2. Er gewährt seinen Mitgliedern im Einzelfall Rat und Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche in Schadensfällen und durch Musterprozesse.“

In den ersten Vorstand wurden gewählt:

  • Bauunternehmer Franz Merz, Gelsenkirchen-Buer, Vorsitzender
  • Bürgermeister a. D. Dr. Rudolf Stoßberg, Gelsenkirchen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied
  • Syndikus Werner Streit, Essen, Mitglied des Vorstandes
  • Landwirtschaftsrat a. D. Hans Warm, Gelsenkirchen, Mitglied des Vorstandes
  • Oberingenieur Friedrich Watermann, Düsseldorf, Mitglied des Vorstandes.

Die Eintragung in das Vereinsregister erfolgte am 5. November 1959 unter der Nummer VR 384. Der in der ersten Satzung beschriebene Zweck des Verbandes, nämlich die Vertretung der besonderen Interessen der Grundeigentümer im Bundesgebiet, soweit sie durch die Ausübung von Bergbau und die damit zusammenhängende Rechtsordnung berührt werden, gilt mit der Ergänzung um den zugehörigen Immissionsschutz nach Satzungsänderung vom 10. Dezember 1961 noch heute.

Die zweite Mitgliederversammlung des VBHG erfolgte nach Abschluss des ersten vollständigen Geschäftsjahres am 1. Februar 1961 im Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen. Bei der Vertretung der Gesamtinteressen bergbaugeschädigter Haus- und Grundeigentümer hat sich der Verband bereits zu dieser Zeit auf Bundes- und Landesebene für eine Vereinheitlichung des bundesdeutschen Bergrechts eingesetzt. Zudem übernahm er die Bearbeitung der Bergschadensfälle, wie sie zuvor von der Bergschädenversicherung abgewickelt wurden. Schon zum damaligen Zeitpunkt wurde auch dem Thema Immissionsschäden breiter Raum gewidmet. Neben Dr. Theodor Paul vom Zentralverband Deutscher Haus- und Grundbesitzer, Düsseldorf, (so die anfängliche Namensgebung, heute: Haus & Grund Deutschland, Berlin) wurde auch Dr. Rudolf Stoßberg, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des VBHG, in einen entsprechenden Ausschuss des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter Minister Theodor Blank berufen.

Von Beginn an war der VBHG dazu auserkoren und bestrebt, neben der Akquisition neuer Mitgliedschaften möglichst vielen Mitgliedern der Bergschädenversicherung eine attraktive Ergänzung ihrer Versicherung durch eine direkte Mitgliedschaft im VBHG zu bieten, um einen effektiven und so dann auch vom Rechtsberatungsgesetz legitimierten Rundum-Schutz zu gewährleisten. Das Justizministerium NRW war jedoch anfänglich skeptisch und der Auffassung, auch der VBHG würde eine unzulässige Rechtsberatung und Rechtsbesorgung betreiben. In nachfolgendem Schriftwechsel führte der VBHG jedoch aus, eindeutig eine berufsstands­ähnliche Vereinigung und zur Rechtsberatung für Mitglieder befugt zu sein. So sei auch die korporative Mitgliedschaft im Zentralverband der Haus- und Grundeigentümer Ausdruck dieses Vereinscharakters (siehe dazu auch den nachfolgenden Exkurs mit Ausführungen insbesondere von Dr. Theodor Paul, dem langjährigen Generalsekretär und Präsidenten des Zentralverbandes). Das umfangreiche Klarstellungsschreiben des VBHG an das Ministerium vom 11. August 1962 führte dann direkt zur erstmaligen Anerkennung als berufsstandsähnliche Vereinigung, verbunden mit der gesetzeskonform erlaubnisfreien Rechtsberatungsbefugnis. Dies war die erste maßgebende Bestätigung des auch heute noch auf Kollektivinteressenvertretung und in diesem Rahmen auch auf mitgliederbezogene Einzelinteressenvertretung ausgerichteten „Geschäftsmodells“ des VBHG.

  • Foto_1_-_Bürogebäude
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  • Foto_6_-_Buchhaltung
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  • Foto_8_-_Registratur

Wichtiger Hinweis an unsere Mitglieder

Zur Verbesserung der Zugriffs- und Bearbeitungszeiten pflegen wir den Schriftverkehr in ein EDV-gesteuertes Dokumenten-Management-System ein. Bitte helfen Sie uns, indem Sie auf Ihren Schreiben an uns konsequent die sog. Objekt-Nr. aufnehmen. Sie finden sie regelmäßig in den Betreffangaben unserer Schreiben an Sie. Vielen Dank!

Daten der laufenden Musterprozesse

Zu den VBHG-betreuten Musterprozessen gegen die RAG Aktiengesellschaft, die sich zur Frage sog. nachbarrechtlicher Ausgleichsansprüche wegen bergbaubedingter Erschütterungen verhalten, liegt ein aktueller Sachstand vor.

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