Haben wir eine neue Bergschadenssituation im Ruhrgebiet? Müssen alle Altfälle erneut auf den Prüfstand? Die Lokal- und Regionalredaktionen der einschlägigen Presseorgane des Ruhrgebietes scheinen sich gegenseitig überbieten zu wollen. Ein wenig Abgeklärtheit scheint angebracht, um auch diejenigen Grundeigentümer in Bergbaurevieren aufzuklären, die sich mit diesem Thema bisher nicht befasst hat/haben.
Wie so häufig sind die zu Grunde liegenden Probleme gar nicht so komplex, wie sie vordergründig erscheinen. Falsch verwendete und fehlinterpretierte Begriffe (insbes. Einwirkungsbereich, Grenzwinkel und Nullrand) haben viel zur Aufregung beigetragen. Deshalb seien dazu einige Klarstellungen vorangestellt.
Darstellung des erweiterten Betrachtungsraumes in der öffentlichen Bekanntmachung der BR Arnsberg, Abt. 6, vom 24.09.2012 betr. den Steinkohlenabbau des Bergwerks Prosper-Haniel im Bereich der Stadt Bottrop mit randlichen Einwirkungen auf die Gebiete der Städte Dinslaken und Gladbeck. Quelle: Geobasisdaten des Landes NRW (c) Geobasis NRW 2012
Der untertägige Bergbau von Steinkohle erzeugt an der Tagesoberfläche eine Senkungsmulde, die deutlich über die eigentliche Abbaufläche hinausgeht. In besserer Anlehnung an die eigentliche Form wird sie heute auch als Senkungstrog bezeichnet. Die Ausdehnung dieses Troges an der Tagesoberfläche hängt von vielen Faktoren ab. Zu den wichtigsten Faktoren gehören sicherlich die Tiefe der Abbautätigkeit und die Struktur des Deckgebirges, in dem ja die untertage erzeugten Senkungen bis zur Tagesoberfläche „durchgereicht“ werden. Das Deckgebirge ist allerdings nicht gleichmäßig aufgebaut. Es ist unterschiedlich geschichtet, besteht aus unterschiedlichen Gesteinsformationen und ist zudem durch tektonische Ereignisse aus der Vorzeit gebrochen und gegenseitig verschoben. Die äußere Form des Senkungstroges an der Tagesoberfläche zeigt sich gerade wegen dieser Unterschiedlichkeiten keineswegs als langgestrecktes Oval, sondern ist tatsächlich von Aus- und Einbuchtungen unterschiedlicher Größe geprägt. Den genauen Rand des Senkungstroges kann man deshalb auch nur durch Senkungsmessungen an der Tagesoberfläche feststellen. Dass auch dies keine einfache Aufgabe ist, wird an anderer Stelle noch dargestellt.
Im Rahmen der aktuellen Diskussion ist nicht unwichtig, die Thematik einmal unter dem Blickwinkel der Steinkohle-Abbauplanung und einmal unter dem Blickwinkel der Schadensprüfung und Bergschadensregulierung zu betrachten.
Die für die verschiedenen Genehmigungsverfahren notwendige Abbauplanung steht vor dem Problem, den Einwirkungsbereich des Bergbaus an der Tagesoberfläche darzustellen, damit die Beteiligten am Genehmigungsverfahren sich ein Bild machen können über Art und Umfang der etwaigen Betroffenheit der in ihrem jeweiligen Interessensbereich liegenden Schutzgüter. Eine Kommune muss z. B. die Auswirkungen eines Abbaus auf die Entwässerungseinrichtungen wie Straßenkanäle, Regenrückhaltebecken usw. beurteilen können. Die Bundesbahn hat die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs zu besorgen. Haus- und Grundstückseigentümer wollen prüfen, ob sie „Eigentumsbeeinträchtigungen von einigem Gewicht, mit denen nach Lage der Dinge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist“, betroffen sein können, damit sie rechtzeitig ihre Einwendungen gegen ein Abbauvorhaben vorbringen können.
Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.03.1989 – 4 C 36/85 – („Moers-Kapellen-Urteil“) hat die Bergbehörde sicherzustellen, dass bei „Eigentumsbeeinträchtigungen an der Oberfläche von einigem Gewicht, mit denen nach Lage der Dinge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist“, die so betroffenen Grundeigentümer rechtzeitig ihre Einwendungen vorbringen können. Eigentumsbeeinträchtigen von einigem Gewicht, d. h. solche – so das Gericht – die über kleine und mittlere Schäden in üblichem Umfang hinausgehen, können nach festlegenden Einschätzungen des Länderausschusses Bergbau mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit insbes. in folgenden Fällen eintreten:
- in Bereichen vorhandener oder zu erwartender Unstetigkeitszonen,
- in Bereichen, in denen bei baulichen Anlagen unter Berücksichtigung der Vorbelastung eine maximale Gesamtschieflage von mindestens 30 mm/m zu erwarten ist (redaktionelle Anmerkung: vergleichbare Handhabung bei 25 mm/m sog. mittlere Schieflage),
- darüber hinaus bei geringeren Einwirkungen in besonders gelagerten Einzelfällen (z. B. Gewerbebetrieben, wenn eine Betriebseinstellung oder nachhaltige -unterbrechung zu erwarten ist, oder bei Gebäuden, die besonderen bergbaulichen Beanspruchungen, etwa durch wechselnde Schieflageausrichtungen, ausgesetzt waren.
In obigem Zusammenhang hatte der VBHG seine Kenntnisse über Bergschadensentwicklungen und die deshalb zu wahrenden Interessen betroffener Grundeigentümer insbesondere über Vorgespräche mit der nordrhein-westfälischen und der saarländischen Bergbehörde eingebracht.
Um diesen schon in der Planungsphase benötigten Einwirkungsbereich an der Tagesoberfläche darstellen zu können, werden sog. Vorausberechnungsprogramme verwendet. Die in diesen Programmen maßgebenden Faktoren sind aus Erfahrungswerten vergangener Abbautätigkeiten abgeleitet worden. Dass die aus einem derartigen Vorausberechnungsprogramm ermittelte Einwirkungsfläche nicht exakt den tatsächlich sich später einstellenden Senkungstrog abbilden kann, ist aus den geschilderten Gründen unvermeidlich und auch hinnehmbar, wenn es sich nur um geringfügige Unterschiede handeln würden, die dann auch allen Verfahrensbeteiligten deutlich gemacht werden oder ihnen bewusst sind. Aus mathematischen und in diesem Zusammenhang weniger wichtigen anderen Gründen wird der Konstruktion des Einwirkungsbereiches ein bestimmter Winkel zu Grunde gelegt, der zwischen dem Niveau des abzubauenden Kohleflözes und einer gedachten Verbindungslinie zwischen dem Rand der Abbaufläche und der Tagesoberfläche gebildet wird. Daraus ergibt sich dann an der Tagesoberfläche ein langgestrecktes Oval. Viele Betroffene kennen dieses Oval aus den Veröffentlichungen der Bezirksregierung Arnsberg (als Bergbehörde) in der lokalen Tagespresse, wenn neue Abbauflächen zur Genehmigung anstehen.
Die mit der Erarbeitung einer derartigen Darstellung befassten Kreise selbst sind sich dabei offensichtlich darüber im Klaren, dass auch über diesen Kreis hinausgehend geringe Senkungen an der Tagesoberfläche durch den geplanten Abbau ausgelöst werden. Rechnerisch dürfte das außerhalb dieses Kreises auftretende Senkungsvolumen 1 % der Gesamtsenkungen entsprechen. 99 % des Senkungsvolumens finden also innerhalb dieses Kreises statt. Diejenigen, die über ein derartiges Fachwissen nicht verfügen, gewinnen fatalerweise aber einen anderen Eindruck. Denn die Darstellung dieser Linie in den Veröffentlichungen der Tagespresse wird begleitet mit dem Hinweis: „Grenze des Bereiches der bergbaulichen Einwirkungen (Nullrand mit Grenzwinkel γ = 60 gon)“. Die Begrifflichkeit „Grenze“ in Verbindung mit „Nullrand“ erzeugt nun beim Betrachter den Eindruck, dass außerhalb dieses Bereiches keine Bodensenkungen stattfinden, die auf untertägigen Abbau zurückzuführen sind. Wer also sein Grundstück außerhalb dieses Kreises hat, wiegt sich damit in einer falschen Sicherheit.
Als nun vor einigen Jahren der Verdacht aufkam, dass zumindest am Nordrand bzw. Nordwestrand des Abbaubereiches des Bergwerks Prosper Haniel in Bottrop-Kirchhellen Senkungen auch außerhalb des Nullrandes zu verzeichnen und diese möglicherweise auf den untertägigen Steinkohleabbau zurückzuführen sind, war die daraufhin einsetzende Empörung durchaus nachvollziehbar. Einige Betroffene fühlten sich nun getäuscht und hintergangen, deren Grundstücke zwar außerhalb des Nullrandes, aber durchaus im Bereich möglicher bergbaulicher Senkungen liegen.
Da nicht jede Senkung der Tagesoberfläche auch im Nahbereich des untertägigen Steinkohlebergbaus sofort, quasi automatisch und eindeutig auf diesen zurückzuführen ist, bedurfte es noch einer gewissen Zeit und eines gewissen Erkenntnisgewinns bis zur Gewissheit, dass zumindest der Großteil der außerhalb des Nullrandes aufgetretenen Senkungen im Zusammenhang mit dem untertägigen Steinkohlebergbau steht. Für das jetzt noch anstehende Genehmigungsverfahren der Abbauflächen 542 im Flöz G2/F sowie 704 im Flöz G1 kamen die neuen Informationen so rechtzeitig, dass die Bezirksregierung Arnsberg als Genehmigungsbehörde in einer Art Schnellreaktion den seinerzeit berechneten Nullrand um 1.000 m nach außen verschoben hat. Damit sind nun nach menschlichem Ermessen wirklich alle Grundstücke erfasst, auf die der Abbau in diesen beiden Bauhöhen möglicherweise einwirken kann. Die in diesem erweiterten Bereich liegenden Grundstückseigentümer haben jetzt ebenfalls die Möglichkeit, Einwendungen gegen den Abbau bei der Bergbehörde vorzutragen, und die Chance, dass diese Einwendungen auch Beachtung finden und in die Genehmigungsprüfung einfließen.
Wie einleitend angemerkt, bedarf die aktuelle Diskussion aber auch eines Blicks auf die Schadensprüfung und Schadensregulierung!
Die aus der Genehmigungsplanung stammende und – fälschlicherweise – als „Nullrand“ bezeichnete Linie ist fatalerweise inzwischen auch in die Praxis der Schadensbeurteilung und Regulierung von Bergschäden eingeflossen. Hier aber hat nun eine allein aus Planungsdaten konstruierte Linie an der Tagesoberfläche überhaupt nichts zu suchen.
Natürlich können Bergschäden nur dort auftreten, wo auch Einwirkungen des Bergbaus an der Tagesoberfläche zu verzeichnen sind. Im Allgemeinen ist dieser Bereich mit der tatsächlichen Ausdehnung des Senkungstroges gleichzusetzen. Liegt nun ein Grundstück mit vermuteten Bergschäden eindeutig innerhalb des Senkungstroges, spielt die Frage des Umfangs bergbaulicher Einwirkungen bei der Schadensbeurteilung in aller Regel eine deutlich untergeordnete Rolle. Liegt das Grundstück dagegen im Randbereich oder möglicherweise auch außerhalb des Senkungstroges, spielt dessen exakte Ausdehnung in vielen Fällen die entscheidende Rolle bei der Frage, ob bei vermuteten Bergschäden an einem Gebäude Schadensersatzansprüche zugesprochen oder auch komplett abgelehnt werden. Für die tatsächliche Ausdehnung des Senkungstroges sind eigentlich Senkungsmessungen erforderlich. Tatsächlich werden zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführte Höhenmessungen miteinander verglichen. Höhendifferenzen können dann auf Senkungen der Tagesoberfläche hinweisen. (siehe auch: Baglikow, Dr. Volker: Das leitnivellement) Trotz mittlerweile hochgenauer Messverfahren steckt auch hier der Teufel im Detail. Die aktuelle Diskussion über die Ausdehnung des Einwirkungsbereiches untertägigen Steinkohleabbaus in Bottrop-Kirchhellen zeigt recht gut die Problematik auf, die auch für alle anderen Bereiche gilt, in denen im Ruhrgebiet Steinkohle gewonnen wird und gewonnen worden ist. Zum einen liegen für eine großräumige Feststellung der tatsächlichen Ausdehnung des Senkungstroges viel zu wenige Höhenwerte vor. Man ist also gezwungen, die aus einzelnen Punkten resultierenden Erkenntnisse über die Ausdehnung des Senkungstroges auf andere Bereiche zu übertragen bzw. zu verallgemeinern. In Anbetracht des sehr inhomogenen Aufbaus des Deckgebirges ist eine Übertragung der Erkenntnisse über die Ausdehnung des Senkungstroges an einer Stelle auf ein jetzt zu beurteilendes Grundstück an anderer Stelle nur sehr eingeschränkt möglich und mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet. Außerdem zeigt sich zum anderen, dass der Senkungstrog im Randbereich sehr flach ausläuft. Die mit jedem Messverfahren verbundenen Ungenauigkeiten sowie der relativ große Abstand der Messpunkte untereinander lässt daher selbst in Bereichen konkreter Messungen eine grundstücksscharfe Abgrenzung zur Lage innerhalb oder außerhalb des Senkungstroges kaum zu. In der Regulierungspraxis werden dagegen Schadensersatzansprüche aus vermuteten Bergschäden häufig mit der Begründung abgelehnt, dass das betroffene Grundstück außerhalb des durch den „Nullrand“ definierten Gebietes liegt. Eine derartige Begründung wird u.U. auch dann herangezogen, wenn das Grundstück nur wenige Meter außerhalb des durch den Nullrand begrenzten Bereiches liegt. Hier werden also Planungsdaten, die nur eine ungefähre Abschätzung des Bereiches bergbaulicher Einwirkungen darstellen, benutzt, um den selbst durch Messungen nur ungefähr zu bestimmenden Rand des Senkungstroges zu definieren.
Für die Praxis der Bergschadensregulierung ergeben sich daraus zwei Folgerungen:
· Die aus dem Genehmigungsverfahren stammende Darstellung des Nullrandes darf grundsätzlich bei der Beurteilung von Bergschäden nicht als eigenständiger Ablehnungsgrund verwandt werden.
· Bei Verdacht auf Bergschäden an einem Gebäude haben die Vertreter des zuständigen Bergwerks selbst bei mutmaßlicher Lage des Grundstücks außerhalb des Senkungstroges eine Ortsbesichtigung durchzuführen, um sich einen Eindruck von Art und Umfang der Schäden machen zu können.
Die Durchführung einer Ortsbesichtigung zur Feststellung von Art und Umfang der Schäden ist in aller Regel unabdingbar, denn letztendlich sind es die aufgetretenen Schäden, die Aufschluss geben über den tatsächlichen Verlauf des Senkungstroges.
Für die Genehmigungsplanung ist noch die Forderung anzuschließen, dass die bei früheren Genehmigungsverfahren erreichte Ausdehnung des Bereiches, innerhalb dessen die Eigentümer von Grundstücken Einwendungen gegen ein Genehmigungsverfahren vorbringen können, auch bei späteren Verfahren zu berücksichtigen ist.
Es darf erwartet werden, dass die RAG Aktiengesellschaft nicht nur in den Aktivbereichen, sondern auch in den sog. Stillstandsbereichen ihre Bereitschaft zur Wiederholungsprüfung der Schadensfälle erklärt, bei denen Ansprüche allein oder hauptsächlich mit der Begründung abgelehnt worden sind, dass das Grundstück außerhalb des „Nullrandes“ liege.
Dipl.-Ing. J. Schürken